Die Kündigung von engagierten Betriebsräten und Vertrauensleuten scheint ein nahezu alltäglicher Vorgang zu sein. Egal ob es sich um staatliche oder privatwirtschaftliche Unternehmen handelt. Porsche Stuttgart, Quelle Leipzig oder die HAVAG (Hallensische Verkehrs AG) in Halle. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht weitere Fälle dazukommen.
Die wirklichen Kündigungsgründe (dass sie ihre Aufgabe als Betriebsräte und Vertrauensleute ernst nehmen) können natürlich nicht genannt werden. Deshalb sind die Beweis- und Argumentationsketten der entlassenden Unternehmen oft haarsträubend und widersprüchlich.
Nicht selten geben sich ihre Prozessvertreter und Anwälte vor Gericht der Lächerlichkeit preis. So behaupteten die Vertreter von Quelle Leipzig vor dem LAG Sachsen in Chemnitz, dass die betreffende Kollegin (Vertrauensfrau Gudrun K.) entlassen werden müsse, da ihre Fehlerquote den Kunden nicht zuzumuten sei. Andererseits war die Fehlerquote zu gering, als dass Ihr bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine weniger verantwortungsvolle Aufgabe zugewiesen wurde.
Während die Kündigungen von Betriebs- und Personalräten nur möglich sind, wenn Gründe für eine fristlose Kündigung vorliegen, gibt es für Vertrauensleute keinen besonderen Kündigungsschutz. Andererseits sind Vertrauensleute aber auch nicht dem Betriebswohl verpflichtet und unterliegen nicht der „besonderen Friedenspflicht“ (BetrVerfG § 74). In diesem Beitrag möchte ich die HAVAG herausgreifen.
Dem engagierten Jugend- und Auszubildendenvertreter Tassilo Timm wurde entgegen dem Betriebsverfassungsgesetz eine Weiterbeschäftigung verweigert. Angeblich hätte er nicht die nötigen Qualifikationen. Er solle auf eigene Kosten einen LKW-Führerschein erwerben. Tassilo Timm war durch eine Unterschriftenkampagne aufgefallen in der die Weiterbeschäftigung aller HAVAG-Lehrlinge nach der Ausbildung gefordert wurde.
Auch er erfuhr vor dem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht in Halle eine breite Solidarität, die weder den Richter, noch die Gegenseite unbeeindruckt ließ. (Einzelpersonen, Mitglieder von IG Metall, ver.di, DKP, MLPD, der FAU Halle und der FAU Leipzig und Teilnehmern der Montagsdemo). Im Ergebnis zahlt die HAVAG die Kosten für den Führerschein und Tassilo Timm muss weiterbeschäftigt werden.
Seit einigen Jahren steigt die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter der HAVAG. Die Ruhepausen wurden verkürzt und die Fahrzeiten verlängert. Ohne Lohnausgleich. – Die Unfälle häuften sich. Die Kosten für die Schäden bei den Unfällen wurden zunehmend auf die Straßenbahnfahrer abgewälzt.
In diesem Zusammenhang gab der Vertrauensmann Frank Oettler im Dezember 2007 ein Interview für die „Mitteldeutsche Zeitung“ MZ, in dem er von „verschärfter Ausbeutung“ sprach. Daraufhin wurde Frank Oettler das erste Mal fristlos gekündigt, da er dem Unternehmen Schaden zugefügt habe. Das Arbeitsgericht sah dies nach der Verhandlung im 16. Juli 2008 anders und erklärte die Kündigung für unwirksam. Der Gerichtssaal war zu klein, um die über 40 „solidarischen Besucher“ der Verhandlung zu fassen.
In der Angst, mit dieser Kündigung nicht durchzukommen, stellte die HAVAG schon im März einen Antrag beim Betriebsrat, Frank Oettler eine Verdachtskündigung aussprechen zu können. Stein des Anstoßes war ein Flugblatt, in dem die Kündigungspraxis der HAVAG thematisiert wurde. Oettler wurde unterstellt, dieses Flugblatt verfasst und auf dem Betriebsgelände verteilt zu haben. Der Betriebsrat lehnte die Entlassung ab.
Zwei Tage vor dem Verhandlungstermin am 16. Juli 2008 stellte die HAVAG einen weiteren Antrag auf Entlassung von Frank Oettler beim Betriebsrat. Diesmal wieder wegen des Interviews in der MZ. Der Betriebsrat lehnte ab.
Im Dezember 2008 legte die HAVAG Berufung ein. Frank Oettler ging ebenfalls in Berufung, da das Gericht zwar die Kündigung für unrechtmäßig erklärt hatte, aber nicht die Weiterbeschäftigung beschlossen hatte.
Erst im März kam es zum Berufungsverfahren. Natürlich waren wieder zahlreiche Unterstützer erschienen. Neben Einzelpersonen, Mitgliedern von IG Metall, ver.di, DKP, MLPD, Teilnehmern der Montagsdemo auch Mitglieder der FAU Halle und der FAU Leipzig.
Das Gericht hatte diesmal weitere Stühle zur Verfügung gestellt. Der Anwalt der Gegenseite versuchte, Frank Oettler als Querulanten darzustellen, was ihm nicht gelang. Aus mehreren Flugblättern, die verteilt worden seien, wurde plötzlich ein Flugblatt. Angekündigte Zeugen konnten nicht präsentiert werden, nur eine Zeugin blieb übrig. Diese kam aber nicht zur Verhandlung, nachdem publik wurde, dass diese die Lebensgefährtin eines HAVAG- Vorstandsmitglied ist. Der HAVAG – Anwalt spekulierte wild herum und redete sich in Schleifen. Dann spielte er seinen vermeintlich stärksten Trumpf aus: Frank Oettler habe die Zeitung „Rote Fahne“ im Führerhäuschen sichtbar platziert. Der Richter entgegnete: „Ich habe in den letzten Tagen mal darauf geachtet. Andere Möglichkeiten, die Zeitung abzulegen gibt es ja gar nicht. Bei den meisten liegt dort die Bildzeitung. Naja, darüber kann man ja auch geteilter Meinung sein.“
Das Landesarbeitsgericht entschied gegen die Kündigung und für die Weiterbeschäftigung.
Zwei weitere Male wurde die Weiterbeschäftigung von Frank Oettler ausgesetzt. (Antrag gegen die Nichtzulassung der Berufung beim BAG).
Daraufhin wurden Flugblätter über das Verhalten der HAVAG außerhalb des Betriebsgeländes verteilt. Auch Frank Oettler nahm daran teil. Angeblich deshalb und wegen eines offenen Briefes an die HAVAG-Geschäftsleitung erfolgte am 18. Dezember eine weitere fristlose Kündigung. Wenige Tage vor dieser Kündigung hatte das BAG das Urteil des LAG bestätigt, weshalb der Verdacht nahe liegt, dass es sich um eine „Trotzkündigung“ handelte. Diesmal stimmte eine Mehrheit des Betriebsrates zu.
Am 24.11.2010 wurde die Klage gegen diese Kündigung am Arbeitsgericht Halle verhandelt. Die Argumentation des HAVAG-Anwaltes war wieder haarsträubend. Da wurden Fragezeichen zu Ausrufezeichen erklärt, Frank Oettler sollte verschuldet haben, dass eine Straßenbahnfahrerin an der falschen Stelle hielt, weil ihr irgendjemand ein Flugblatt ins Fahrerhaus gesteckt haben soll, auch hätte er beim Verteilen einen Fahrkartenkontrolleur als solchen erkennen sollen. Grundgesetzlich geschützte Rechte sollten für Straßenbahnfahrer nicht gelten. Das war wohl auch dem Richter zu dick aufgetragen. Dies und der wiederum gut gefüllte Gerichtssaal (Einzelpersonen, Mitglieder von IG Metall, ver.di, DKP, MLPD, Teilnehmern der Montagsdemo auch Mitglieder der FAU Halle und der FAU Leipzig) hatten sicher Einfluss darauf, dass das Urteil nach gültigem Gesetz ausfiel: die Kündigung ist unwirksam, Frank Oettler muss sofort weiterbeschäftigt werden.
Für uns Leipziger und Hallenser Anarchosyndikalisten ist es selbstverständlich, dass wir kämpferische Arbeiter und Arbeiterinnen unterstützen. Auch wenn diese anderen Gewerkschaften angehören oder Mitglieder von Parteien sind, zu denen wir ideologisch im Widerspruch stehen. Das heißt nicht, dass wir sachlich harten Diskussionen aus dem Weg gehen müssen oder können. Um aber überhaupt sinnvoll theoretisch diskutieren zu können, ist die praktische Solidarität Voraussetzung. Hier entscheidet sich, wer überhaupt als Bündnis- oder Diskussionspartner in Frage kommt, wer wirklich für Arbeiterinteressen eintritt, und wer über Arbeiterinteressen und Revolution nur auf Versammlungen und angemeldeten Kundgebungen schwadroniert.