Arbeitsrechtsgymnastik … ist langweilig!

Der folgende Artikel über eine Aktion der Freien ArbeiterInnen-Union Leipzig wurde im Feierabend!-Ausgaben #18 & 19 (Juni/August & September/Oktober 2005) veröffentlicht und erscheint hier erstmals online:

Wir sind so wehrlos wie wir passiv sind. Diese schlichte Wahrheit bestätigte sich für die FAU Leipzig im Konflikt mit der Kneipe Lembas (siehe Feierabend! #17) und soll nun ein weiteres Mal überprüft werden.

Diesmal geht es um die Firma Saturn und deren Geschäftspraktiken. Das Prinzip ‚hire and fire‘ scheint sich hier durchgesetzt zu haben: Für die Neueröffnung am 4.6. suchte Saturn u.a. über die Jobvermittlung des Studentenwerks [Leipzig] Aushilfskräfte zum Eintüten an der Kasse – für gut 8 Euro pro Stunde. Ein verlockendes Angebot für jeden Studierenden.

Problematisch wurde es, als Hilfskräften, die bereits einen Vertrag erhalten hatten, teilweise erst kurz vor Arbeitsbeginn mitgeteilt wurde, sie könnten zu Hause bleiben, da es keine Arbeit gäbe. Doch damit geht die Sache erst richtig los, solche Praktiken muss sich niemand gefallen lassen.

Denn die Saturn-Verwaltung hat hier einige Fehler gemacht: ein schriftlicher und befristeter Arbeitsvertrag, wie in diesem Falle, ist nicht so einfach zu kündigen, wie sich die Personalchefin das vorgestellt haben mag. Die betreffende Person war, wie vorgesehen, erschienen (natürlich mit Zeuge) und hatte ihre Arbeitskraft angeboten – ob es da aus was zu arbeiten gibt, liegt als ‚wirtschaftliches Risiko‘ beim Unternehmen, damit lässt sich keine Kündigung rechtfertigen.

Der Gang zum Arbeitsgericht steht jedem abhängig Beschäftigten gleich welcher Staatsangehörigkeit offen, birgt in diesem Falle allerdings die Gefahr, wegen Nichtigkeit des Streitwerts (80 EUR) abgeschmettert zu werden. Bevor das aber geschieht, treten für Saturn die ersten Kosten auf, die den Streitwert weit übersteigen – auf unserer Seite werden sie per Beratungsschein gedeckt. (Zudem ist in der ersten Instanz anwaltliche Vertretung nicht zwingend, das kann man selbst oder einE GenossIn übernehmen.)

Wenn die kurze Beschäftigungsdauer dem Rechtsanspruch also formal keinen Abbruch tut, dauert seine Durchsetzung doch erheblich. Solidarität und direkte Aktion wirken zumeist schneller als der Gang zum Arbeitsgericht, und kommen so auch dem Charakter der ‚Beschäftigung‘ recht nahe.

Wie die Sache ausgeht, erfahrt ihr in der nächsten Ausgabe …

In der letzten Ausgabe (#18) berichteten wir davon, wie ein Unternehmen (Saturn) versuchte, die weitverbreitete Unkenntnis in Sachen Arbeitsrecht auszunutzen – und sich dabei verkalkulierte.

Einer Aushilfskraft wurde kurzfristig gekündigt, woraufhin sie sich an ihre Gewerkschaft wandte. In der Freien ArbeiterInnen-Union Leipzig (FAUL) wurde daraufhin diskutiert, ob man aufgrund der mangelnden Verankerung im Unternehmen zunächst den juristischen Weg einschlagen oder gleich auf Öffentlichkeitsarbeit vor Ort bauen solle, um Druck aufzubauen. Der Betroffene entschied letztlich, eine Klage beim Arbeitsgericht einzureichen. Denn rechtlich war klar, dass Saturn den Vertrag nicht eingehalten hatte – Unklarheit bestand lediglich darüber, ob es für den Streitwert eine untere Grenze gibt. Die FAUL schickte ein Schreiben an Saturn: man werde die Sache beobachten und ‚gegebenenfalls eigene Schritte zur Unterstützung (…) unternehmen.‘

Einige Tage nach Einreichung der Klage erhielten beide Parteien vom Arbeitsgericht eine Vorladung zum Gütetermin. Es setzte also das normale Prozedere ein, das einer Verhandlung vorausgeht.

Binnen einer Woche erklärte sich Saturn nun in mehreren Briefen zu einer außergerichtlichen Einigung bereit – man wolle den Lohn überweisen. Außerdem suchte die Personalabteilung, anscheinend etwas nervös, telefonisch zu erfahren, ob die Klage zurückgezogen werden würde. Genau das hat der Betroffene dann mit einem Schreiben an das Arbeitsgericht getan, und drei Tage später waren 80 Euro auf dem klammen Konto gelandet.

Unter’m Strich: ist Saturn in einem Einzelfall nicht mit der wohl ansonsten gängigen Praxis durchgekommen; hat der Betroffene seine Kohle bekommen und die FAU konnte auf dem Papier glänzen.

Die Aktion war vor allem deshalb so erfolgreich, da sich Saturn vertragsrechtlich selbst ein Bein gestellt hatte und daran durch den Brief des Arbeitsgerichts erinnert wurde. Das Vorgehen der FAUL spiegelt dabei keinen Mangel an Vertrauen in unsere kollektive Kraft als (nicht-)entlohnte ArbeiterInnen wieder, weil es dem Willen des Betroffenen entsprach, worin ein wesentliches Merkmal des Anarchosyndikalismus zum Vorschein kommt.

Es lässt sich aus dieser Begebenheit auch nicht schlussfolgern, dass sich die SyndikalistInnen von heute auf die Umsetzung verbriefter Rechte beschränken wollten, sondern eher, dass man trotz alle Ideale die Augen nicht vor den verschiedenen realen Handlungsmöglichkeiten verschließt.

hannah
Feierabend!, #18 & 19 (Juni/August & September/Oktober 2005)

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